Die Arbeiten von Barbara Beer
Die Arbeiten von Barbara Beer entstehen prozesshaft – ausgehend von einem Impuls wird dieser intuitiv weiterverfolgt und nimmt so Form und Gestalt an. Thema sind Schöpfungs-, Lebens- und Transformationsprozesse in ihren vielfältigen Aspekten: Werden, Form annehmen, Auflösung, Transformation. Treibende Kraft für ihre Arbeiten ist, diesen Prozessen sichtbaren Ausdruck zu geben und deren Bewusstwerdung. Die individuelle Verortung in diesen Prozessen ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Die Künstlerin bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen individuellen, kollektiven und universellen Ebenen. Im bildhaften Ausdruck dieser Prozesse findet auch lesbare Geschichtsschreibung statt. Barbara Beer erprobt ein Begreifen des Teil-Seins dieser vielfältigen Ausdrucks- und Wandlungsprozesse, denen sie sowohl unterworfen, als auch deren Schöpferin sie ist. Das Gestaltete weist in seinem Gehalt, in Inhalt und Bedeutung, wiederum weit über die Person der Künstlerin hinaus.
Im Skizzenbuch finden der Prozess der Bewusstwerdung des eigenen individuellen So-Seins – die Erforschung und der Ausdruck der jeweiligen Verfassung, sowie der ablaufenden inneren Prozesse – skizzenhaft Ausdruck. Über die Dauer eines Jahres nehmen die Vielfalt und der Wandel des Selbst-Seins und des Selbst-Erlebens jeweils spezifischen, bildhaften Ausdruck an und werden sichtbar. Bewusst werden diese Prozesse durch Distanzierung und Betrachtung des Gestalteten. Eine individuelle Geschichtsschreibung geschieht. Der Blick von außen erschließt Inhalt und Bedeutung – reduziert aber auch etwas sehr Komplexes-Vieldeutiges auf eine im Moment individuell sinnstiftende Deutung. Ein zweiter und dritter Blick sehen wieder andere Schichten und Inhalte, die dem ersten verborgen blieben. Selbst-Bewusstsein entsteht und bleibt dennoch skizzenhaft, da das Selbst in seiner Komplexität und in seinem ständigen Wandel nie vollständig erfasst werden kann. Lebensgeschichtliches wird individuell lesbar und zur eigenen, durch Bewusstsein und Bedeutungsgebung geschriebenen Geschichte, zu der die BetrachterIn sich verhalten und in der sie sich jeweils verorten kann.
In den Erdmalereien findet eine Rückbindung der eigenen Impulse und Erfahrungen statt. Im Sinne einer re-ligio findet Individuelles einen Ausdruck mit und in Erde und Naturmaterialien und bindet sich damit in ein Anderes / Größeres / Grund-legendes ein. Erde und Naturmaterial werden an sich zum Ausdrucksmittel und zur Grund-Lage der Ausdrucksmöglichkeiten. Dadurch wird das Verhältnis zur Welt und die Verbindung mit der Natur / Umwelt zum zentralen Thema. Hier treten daher auch intuitiv und unbewusst kollektive Symbolisierungen auf, die bis in die frühen Anfänge der Menschheitsgeschichte zu finden sind. Umgekehrt werden diese uralten Figuren und Symbole zur bis heute gültigen Ausdrucksmöglichkeit dieser Erfahrungen von Eingebundensein – wie auch Ausgesetztsein.
So findet eine Bewusstwerdung der eigenen Erfahrungen als unvermeidlich und natürlich statt – als Teil und Ausdruck allgemeingültiger (Lebens-)Prozesse. Die Bewusstwerdung dieser Lebensprozesse an sich und die geschichtliche Verbindung mit den Symbolen einer matriarchalen Kultur, die diese heiligte, stellt die individuellen Erfahrungen in einen umfassenderen – auch geschichtlichen Raum. Die persönliche Geschichte und persönliche (weibliche) Erfahrungen in ursprünglichen Materialien, Bildern und Symbolen auszudrücken und zu gestalten, verbindet diese mit uraltem Wissen und Ur-erfahrungen. Die Einbindung persönlicher weiblicher Erfahrung in kollektive Frauengeschichte und urgeschichtliche matriarchale Zusammenhänge, ermöglicht auch eine Wieder-Aneignung von Enteignetem. Entäußertes äußert sich wieder: als ureigen, in der Tiefe immer vorhanden, entdeckbar, erfahrbar, letztlich sichtbar und lesbar im bildlichen Ausdruck.
Göttinnen, Erde, Naturmaterial, Symbole, als Substanz und Trägerinnen des Lebens tauchen in den Bildern auf. Göttinnen erscheinen als Schöpferinnen/ Gebärende / Zerstörerinnen / Transformierende. Wie auch das Material und die Symbole verkörpern und tragen sie diese Lebens- und Wandlungsprozesse – und machen sie somit erträglich – erfüllen sie mit Sinn. In diesem Kontext finden auch die Versehrtheiten und Verletzungen einen heilsamen Raum. In diesem kreativen Raum können Spaltungen / Isolation aufgehoben werden und (heilsame) Verbindungen wieder hergestellt werden.
Die hier wirkenden und in den Erdmalereien ausgedrückten Schöpfungs-, Gestaltungs- und Heilungsprozesse sind individuell, kollektiv und universell. Indem sie wieder stattfinden dürfen und einen bewussten Ausdruck erfahren, können sie wieder Teil von Frauen- und Menschheitsgeschichte – von weiblicher / menschlicher und individueller Identität werden, die sich als Teil eines Ganzen erlebt und die Prozesse des Lebens bewusst wahr- und annimmt.
In den Schichtungen wird dieser Formwerdungsprozess umgekehrt. Formen und Bedeutungen werden wieder aufgelöst und in den Bereich der vielschichtigen Potentiale überführt. Hier sind Prozesse der Auflösung / Transformation in ihren unendlichen Möglichkeiten abgebildet. Der Zwischenraum von Formauflösung und Formgebung wird erforscht.